Inhalt

Die Schönheit der Komplexität

5G-Technologie, globale Außenpolitik oder der Klimawandel sind komplexe Themen. Einfache Begriffe helfen vermeintlich dabei sie zu erklären. Wissen wird so für mehr Menschen zugänglicher. Aber: Wer über komplexe Dinge schreibt ist dazu gezwungen Informationen weg zu lassen. Das ist schlecht – denn dadurch geht immer ein Teil des Gesamtbildes verloren.

Natürlich kann und muss nicht jeder die molekularen Zusammenhänge von CO2 in der Erdatmosphäre verstehen oder die mathematische Formeln über Quanten beherrschen, doch es gibt Experten die dies können. Bei der Erklärung komplexer Sachverhalte muss deshalb ein Grundwissen der Leser vorausgesetzt werden oder durch das Wissen von Experten verkürzt als wahr allgemein akzeptiert werden.

Als Autor oder Autorin sind für uns daher ein paar Annahmen entscheidend:

  1. Relevante Informationen finden, aufbereiten und verbreiten.
  2. Zur Meinungsbildung beitragen, indem logisch korrekte veröffentlicht werden.
  3. Machtpositionen kritisieren und kontrollieren, damit nicht aufgrund falscher oder unvollständiger Information wichtige Entscheidungen getroffen werden.

Unter diesen Annahmen muss also ein oft komplexes, schwieriges Thema objektiv und verständlich vermittelt werden. Egal ob dabei Worte, Daten, Grafiken oder Fotografien verwendet werden. Das Ziel ist, sie so zu präsentieren, dass (fast) jeder sie versteht.

Der renommierte Journalist Ernst Elitz sagte: „Qualität ist, wenn der Leser nach dem Lesen sagt: „Ich habe verstanden!“

Die Hintergründe von Wirtschaftssanktionen, Zusammenhänge in der Digitalgesetzgebung oder die Komplexität des Transfermarkts im Profifußball. Alle solche Themen müssen so aufbereitet werden, dass ein Publikum sie schnell verstehen kann. Sie müssen also schon mit einem kurzen Blick, auch in einem Newsfeed, Überblick und Zusammenhang zeigen.

Die Reduzierung von Komplexität ist daher eine der Hauptaufgaben und möglicherweise die größte Herausforderung, der sich Wissensarbeiter stellen.

Systeme

Es gibt nicht die Komplexität, sondern immer nur die Komplexität von etwas, etwa von unserem politischen System (wenn wir groß denken), von unserem Ökosystem (wenn wir noch viel größer denken) oder von Künstlicher Intelligenz (wenn wir groß und futuristisch denken) . Der Soziologe und Gesellschaftskritiker Niklas Luhmann hat solche Systeme untersucht. Runtergebrochen – also komplexitätsreduziert – hat er festgestellt: Die Komplexität eines Systems entsteht dadurch, dass es aus vielen Elementen oder Komponenten besteht, die voneinander abhängig sind, miteinander mal loser, mal enger verwoben sein können und in Wechselwirkung treten können. Gleichzeitig aber sind es so viele Elemente, dass sie gar nicht alle zu jeder Zeit miteinander verbunden sein können.

Ein Thema mit hoher Komplexität kann man sich deswegen wie meine Großfamilie vorstellen: Dutzende Menschen, zwischen einem und 95 Jahre alt, alle kennen sich und jeder hat eine Meinung. Von Liebe, Ehrfurcht, Neid bis Ablehnung ist alles dabei. Alle sind miteinander mal lose, mal enger verbunden. Die Entscheidung eines Individuums (Scheidung, Umzug, ein Pay-TV-Abo) kann andere Menschen beeinflussen. Zugleich sind nicht alle zu jeder Zeit mit jedem Familienmitglied verbunden. Manche haben seit Jahren keinen Kontakt und es gibt kaum Einflüsse.

Bei Themen ist die Frage ähnlich: Wer kennt wen? Wer mag wen? Wer ist der coole Onkel und wer die nervige kleine Schwester, die alles durcheinanderbringt? Auf diese Weise werden die Elemente eines Systems und ihre Beziehungen zueinander leichter sichtbar.

Ein Beispiel: Ein Thema von Der Kontext beschäftigt sich mit der Digitalisierung in Afrika. Afrika! Das sind 55 Staaten (wenn man die Westsahara anerkennt, was u. a. politisch gesehen ein Minenfeld ist). Fünfundfünzig! Digitalisierung beinhaltet Fragen der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Infrastruktur, der Kultur(en), der Geschichte, der Philosophie. Und dann kommen auch noch globale Einflüsse hinzu. Ein Superkomplex, der sich anfühlte wie eine Patchwork-Familie, gegen die “Modern Family” übersichtlich erscheint.

Lass weg

Dem Zitat Einsteins folgend: „Mach die Sachen so einfach wie möglich, aber nicht einfacher!“ kann man Komplexität bis zu einem gewissen Grad reduzieren. Ein wichtiger Schritt, den Menschen die Inhalte vermitteln wollen, dabei gehen, ist die Nachrichtenauswahl.

Informationen, die im Zusammenhang mit dem Hauptthema nicht wichtig sind, werden weggelassen. Informationen, die wichtig sind, aber weniger wichtig oder überraschend als andere, werden aussortiert. Es wird entschieden, was Sie, die Lesenden, gezeigt bekommen. Nur die Nuggets sollen übrig bleiben – die interessanten Fakten und Stories, die den Gesamtkomplex erklären. So wurde beim Beispiel Afrika entschieden, nicht über die Rolle des Internets in der ägyptischen Politik der letzten zehn Jahre zu schreiben, dafür aber, dass in manchen Ländern, wie Äthiopien, Ägypten und Gabun, das Internet phasenweise von den Regierungen ausgeschaltet wurde.

Auch Wortwahl und der Ausdruck sind eine Möglichkeit, um Komplexität zu reduzieren, zumindest auf der sprachlichen Ebene. Bei Der Kontext werden daher nur kurze Texte verwendet. Gleichzeitig werden schwierige Satzkonstruktionen vermieden und ebenso Fremdwörter. Mitunter kann das ein Konflikt sein, besonders wenn Experten und Expertinnen erklärt haben, worum es geht. Diese haben oft ein sehr präzises Fachvokabular, das aber oft nicht allgemeinverständlich ist.

Das birgt Gefahren. Denn Begriffe wie “Diesel-Skandal” aber auch “Fake News” sind dehnbar, geben Raum für eigenen Vorstellungen und Ideen. Was Donald Trump und “Breitbart” als Fake News bezeichnen, ist das absolute Gegenteil von Fake News der seriösen Medien. Beide Begriffe rauben dem, was sie eigentlich beschreiben wollen, die Komplexität, schenken den Lesenden dafür aber eine ganze Menge an Emotionen, die weder das Verständnis für den Komplex, noch die Kommunikation miteinander erleichtern.

Komplexität lieben

So müssen sich alle dem stellen, was Luhmann schon 1984 festgestellt hat: “Nur Komplexität kann Komplexität reduzieren.” Klingt seltsam? Ist es aber gar nicht. “Komplexität” kommt vom Lateinischen “complexus” und bedeutet so viel wie Umarmung. Darin liegt auch die Lösung im Umgang mit Komplexität. Medien müssen versuchen, die Komplexität eines Themas und die Leser sowie Leserinnen zu einer großen, innigen Gruppenumarmung zu motivieren.

Dazu braucht es zweierlei: Das Thema muss Lust machen, sich damit zu beschäftigen. Und das Thema braucht genug Platz, um sich zu entfalten.

Der Kommunikationswissenschaftler Armin Scholl und die Kommunikationswissenschaftlerin Wiebke Loosen vertreten die Ansicht, dass komplexe Systeme nicht linear dargestellt werden können. Das Nicht-Lineare, die Verbindungen zwischen den einzelnen Elementen, stellt die Ordnung eines Systems dar. Doch Print-Produkte wie Bücher und Zeitungen funktionieren linear.

Zwar gibt es das Inhaltsverzeichnis und unter Kommentaren häufig einen Hinweis auf die Nachricht, die auf einer anderen Seite in der Zeitung zu finden ist, doch direkt verknüpft waren die Inhalte bis vor wenigen Jahrzehnten nicht. Wer nachsehen wollte, was die Regionalzeitung zum gleichen Thema vor einem Jahr geschrieben hat, musste ins Archiv. Das Internet hat das geändert.

Das Internet liebt Komplexität. Seit Jahren finden wir in Online-Artikeln unterstrichene Wörter, die wir anklicken und die uns zu anderen Beiträgen und Websites, zu Videos und Beispielen weiterleiten. Links bereichern uns als Lesende. Denn sie steigern die Glaubwürdigkeit von Beiträgen, erleichtern die Beweisführung, indem sie zu Quellen führen. Und sie ermöglichen das Publikum auf das hinzuweisen, das einen Artikelumfang sprengt: die weiteren Elemente aus einem komplexen Themenbereich.

Mit der KontextMaps Plattform und damit auch bei Der Kontext sind diese anderen Beiträge nicht (nur) innerhalb des Textes verlinkt. Stattdessen sind zeigt schon die Karte selbst die Übersicht, die Verbindungen und weiteren Themenaspekte. Und unten in den Kurzartikeln sind alle verlinkten Verbindungen anklickbar. Außerdem lassen sich Lesetipps in andere Bereiche der Map verlinken. So erschließt sich dem Leser und der Leserin der Gesamtzusammenhang bereits visuell – und beim Lesen dann auf noch weiteren Ebenen.

So haben Themen Platz und Freiheit, um sich zu entfalten. Damit zu sehen ist, wie die einzelnen Elemente miteinander verbunden sind, welche Ordnung also hinter dem Themen-System steckt. Mittels der Wissenslandkarte wird so zum Beispiel die Komplexität der Digitalisierung in Afrika gezeichnet. Alle Aspekte sind logisch visuell miteinander verbunden. Je tiefer Lesende sich durch die Ebenen im Netz aus Verbindungen klicken, desto klarer wird die Themenstruktur. Gleichzeitig können sie sich auch immer dagegen entscheiden, noch tiefer hinabzutauchen – auf den Grund des Themenbodens.

Grafische Mittel eignen sich wunderbar, um Komplexität attraktiv aufzubereiten. Ergibt es Sinn, Lesern und Leserinnen eine Tabelle mit Zahlen zu zeigen und damit allein zu lassen? Oft nicht. Grafiken helfen und wie man im Beispiel Digitalisierung in Afrika sieht, wird sofort klar, wie viele Menschen z.B. in Zambia freies, semi-freies oder unfreies Internet nutzen können – auch im Vergleich zu anderen Staaten. Die Komplexität der Daten wird also durch eine Redaktion und Grafikabteilung lesbar gemacht. Mit Farb-Codes wird verständlich, in welchem Land Internet-Inhalte besonders stark der Zensur unterliegen.

Neben all dem gibt es noch viele weitere Mittel mit Komplexität umzugehen. Podcasts, kleine Audio- oder Video-Clips, in denen Experten und Expertinnen zu Wort kommen, interaktive Timelines. Crossmedia und Transmedia bieten enorme Möglichkeiten, ebenso wie Digital Storytelling.

Fazit:

Mit linearen Formaten, wie etwa gedruckten Medien aber auch klassische Websites, ist es möglich Komplexität zu fassen und auch zu vermitteln. Dafür müssen die vielen Aspekte eines Themas vereinfacht werden, die Sprache leicht sein und dann auch noch ganz viel weggelassen werden! Zum einen wird ein Thema so geschärft. Andererseits wird aber auch viel wichtige Information weg gelassen. Ein Artikel über eine Mondfinsternis in einer Boulevardzeitung ist radikal kürzer, als in einem Wissenschaftsmagazin. Echtes Verständnis kann mit Texten in boulevardlänge aber natürlich nicht entstehen … lange Texte sind jedoch oft nicht sonderlich unterhaltsam.

Dieser Spagat ist für alle Beteiligten grausam. Für die Autoren und Autorinnen, da sie auswählen müssen und sich für eine Detailtiefe entscheiden müssen. Für Leser und Leserinnen, da sie sich ein Thema lediglich so weit aneignen können, wie es von den Autoren und Autorinnen angeboten wird.

Eine Lösung können KontextMaps sein. Insbesondere Themen mit zahlreichen Facetten und Details, die für das Gesamtverständnis notwendig sind, eigenen sich. Autoren und Autorinnen können so viele Inhalte unterbringen, wie wirklich für das Verständnis notwendig sind. Leser und Leserinnen erhalten den Überblick UND die notwendige Detailtiefe. Zum Eintauchen, Entdecken, Verstehen.